DIE KOMPROMISSLOSE GENERATION?

6.10.17

Während meines Praktikums habe ich die Gelegenheit bekommen, mit vielen älteren Ehepaaren zu sprechen. Ich durfte sie interviewen, weil sie Diamantene (60 Jahre Ehe) oder Eiserne Hochzeit (65 Jahre Ehe) feierten. Dabei habe ich allen Paaren ein und dieselbe Frage gestellt: Haben Sie irgendwelche Tipps für meine Generation, es so lange miteinander auszuhalten?


"Ein Geheimrezept gibt es da nicht", war die einstimmige Antwort. Aber das ließen die Rentner nicht einfach so stehen. Jedes Ehepaar konnte mir versichern, dass es sich auch oft gestritten habe. Aber die Kunst sei es, sich danach wieder zu vertragen. "Bei der jüngeren Generation ist es so: Wenn es Streitigkeiten gibt, dann geht es auseinander. Die jungen Leute wollen jeder ihren Kopf durchsetzen und sind nicht mehr kompromissbereit", sagte Otto Beers zu mir. Stimmt das wirklich?

Schaue ich mich um, sehe ich die Generation meiner Eltern. Gefühlt sind dort 50 Prozent geschieden und die anderen 50 halten es bisher noch miteinander aus. Eine Generation jünger, vielleicht die Eltern der Kinder, auf die ich ab und zu aufpasse: erst leben, dann Karriere machen und irgendwann kurz vor knapp heiraten und Kinder kriegen oder umgekehrt. Dann kommt langsam meine Generation und die der Leute, mit denen ich studiere, arbeite und befreundet bin. Ich würde schätzen 30 Prozent sind vergeben (vielleicht 5 davon wollen später mal heiraten), 70 Prozent wollen "nur Spaß haben", bloß keine Beziehung oder sind unfähig das, was sie haben, beim Namen zu nennen. Von den ganz jungen  Leuten fange ich besser gar nicht erst an.

Ganz offensichtlich haben meine Interviewpartner recht. Abgesehen von der Generation meiner Eltern fällt mir niemand ein, der zumindest 50 Ehejahre erleben könnte, geschweige denn einen längeren Zeitraum zusammen bleiben würde. Meine Großeltern haben sich in der Grundschule kennengelernt, meine Eltern mit 16 auf einer Urlaubsfahrt für Jugendliche.
Heute gibt es Tinder und die Menschen wollen sich erst ausleben, alleine leben, reisen, Karriere machen und dann ein Kind kriegen und lieber gar nicht heiraten - wenn es denn so lange hält. Aber liegt das wirklich daran, dass wir kompromisslos geworden sind?

Ich kann mir schon vorstellen, dass meine Generation wegen der vielen (beruflichen) Möglichkeiten und Chancen egoistischer ist als die Generation meiner Großeltern. Heute haben junge Menschen die Freiheiten, sich die Welt anzuschauen und sich ihren Beruf völlig frei auszuwählen. Wir wollen rauskommen und uns dann irgendwann niederlassen und eine Familie gründen. Früher musste man heiraten, um eine Wohnung zu bekommen und man brauchte eine Arbeit, um zu heiraten und sich das eigene Heim leisten zu können. Es kam nicht von ungefähr, dass mich ein Ehe-Jubilar bei einem Interview gefragt hat, ob ich mit meinen 19 Jahren denn noch keinen Mann gefunden habe - das war damals einfach Voraussetzung für ein gutes Leben. Die Familie kam dann von allein. Damals musste man sich aufeinander verlassen können, ein Alleingang war gar nicht möglich. Wenn einer egoistisch und nicht kompromissbereit war, konnte die ganze Familie darunter leiden und das eigene Leben auch. 

Auch wenn ich die Freiheiten meiner Generation zu schätzen weiß, zweifle ich seitdem oft daran, wieviel sie wert sind. Wenn der Preis dafür sich so äußert, dass ich erst mit 40 Jahren heirate und meine Enkel ihre Großeltern als geschiedenes Ehepaar kennenlernen - dann weiß ich nicht, ob das der richtige Weg ist. Das Vertrauen, Verständnis und die Verlässlichkeit, die meine Großeltern füreinander haben, wird in meine Generation vermutlich kaum mehr gegeben sein, wenn es so weitergeht. Ich sage: back to the roots.


Drei meiner Interviews mit Ehejubilaren könnt ihr hier lesen:




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